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15.11.2022

"Frauen trifft die Teuerung härter“

Interview mit Ökonomin Christine Mayrhuber: Über die Pfeiler einer sozial gerechten Gesellschaft spricht Ökonomin Mag.a Christine Mayrhuber im Interview.

Als SPÖ Wien führen wir im Moment viele Beratungsgespräche mit Menschen, die sehr stark unter der Teuerung leiden. Unter den Hilfesuchenden sind viele Frauen. Trifft wie zuvor schon die Corona-Pandemie die Teuerungskrise Frauen härter und wenn ja, warum?

Ja, Frauen sind vielfach negativ betroffen: Über ihre Erwerbseinkommen haben sie im Schnitt eine deutlich geringere finanzielle Absicherung als Männer. Die aus den Arbeitseinkommen abgeleiteten Sozialversicherungsleistungen, vom Arbeitslosengeld bis zur Alterspension, sind für einen Großteil nicht existenzsichernd. Daten der Österreichischen Nationalbank belegen den Rückstand der Frauen bei den Vermögenseinkommen wie auch der Vermögen insgesamt. Daten der Statistik Austria zeigen, dass innerhalb der Haushalte Frauen für die Ausgaben des täglichen Lebens hauptverantwortlich sind. Die knappen finanziellen Ressourcen bei gleichzeitiger Hauptverantwortung für die (Lebensmittel)Versorgung der Haushaltsmitglieder bedeutet eine starke Betroffenheit der Frauen vom steigenden Preisniveau.

Abseits der hohen Strom-, Gas- und Lebensmittelpreise, die wir alle unmittelbar spüren: Welche langfristigen Auswirkungen der Teuerungskrise auf unsere Gesellschaft sehen Sie?

Die steigenden Preise fossiler Energieträger verdeutlichen die Notwendigkeit, alternative Energiequellen auszubauen und den Energieverbrauch zu drosseln. Dabei geht es vor allem um strukturelle Veränderungen unserer Produktionsweise, um den Klimawandel zu stoppen. Auch die Abhängigkeiten unseres Wohlstands von billigen Import-Rohstoffen und Gütern wurde offensichtlich und spürbar wie auch die globalen Preisbildungsmechanismen, die bis in den Bereich der Daseinsvorsorge preistreibend wirken. Rund 30% der Haushalte mit den niedrigsten Einkommen hatten schon vor dem Preisanstieg 2021 unter materiellen Entbehrungen zu leiden. Durch die Teuerung besteht die Gefahr einer größer werdenden Ungleichheit, einer Zunahme der sozialen Ausgrenzungstendenzen.

Es wird viel darüber diskutiert, wie man die Auswirkungen der Teuerung auf die Menschen abfedern kann. Was bräuchte es aus Ihrer Sicht?

Kurzfristig geht es um die finanzielle Unterstützung der ärmeren Bevölkerung im Sinne einer brandlöschenden Feuerwehr. Daneben braucht es aber mittel- und langfristige strukturelle Maßnahmen, von neuen Preismechanismen bis hin zu Veränderungen unserer Produktionsweisen. Unabhängig von der Teuerung beobachten wir schon länger steigende Ungleichheit auch durch das Aufgehen der Lohnschere, einen im EU-Schnitt überdurchschnittlich hohen Anteil an Niedriglohnbeschäftigten in Österreich und zunehmend instabile Einkommensverläufe. Die Einführung einer Kindergrundsicherung, aber auch einer Energie- und Wohnungsgrundsicherung wären Instrumente zur Förderung der ökonomischen sozialen Teilhabe der Bevölkerung.

Sie beschäftigen sich in Ihrer Forschung mit dem Thema Einkommens- und Pensionsgerechtigkeit. Was ist aus Ihrer Sicht notwendig, damit auch Frauen eine Pension zum Auskommen erhalten und damit im Alter abgesichert sind?

Die geschlechtsspezifische Pensionslücke ist die Bilanz der strukturellen Unterschiede von Frauen und Männern: Diese beginnen bei der ungleichen Verteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit, gehen über die unterschiedliche Vermögensausstattung bis hin zur geringeren ökonomischen Bewertung und sozialen Ankerkennung der Arbeit, die Frauen bezahlt und unbezahlt leisten. Kurzfristig können die höhere Anrechnung von Kindererziehungszeiten, aber auch höhere Ausgleichszulagenrichtsätze Frauenpensionen erhöhen. Insgesamt führt aber kein Weg an höheren Löhnen, auch durch eine Neubewertung von Bildungs-, Erziehungs- und Sorgeberufen, vorbei.

Die Bundesregierung plant, ein automatisches Pensionssplitting einführen. Was genau kann man sich darunter vorstellen?

Soweit bisher bekannt, bedeutet ein verpflichtendes Splitting, also Teilung, dass bei Paaren mit Kindern das Erwerbseinkommen, konkret die Beitragsgrundlagen zur Pensionsversicherung der beiden Eltern, bis zum 10. Lebensjahr des Kindes zusammengezählt werden und jeweils die Hälfte am Pensionskonto gutgeschrieben wird. Die vier Jahre Kindererziehungszeiten oder Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs bleiben beim Splitting ausgeklammert. Im Modell ist auch eine nicht näher ausgeführte Opt-Out-Möglichkeit, also ein Weggang des verpflichtenden Splittings, genannt. Bei großen Einkommensdifferenzen der Eltern erhöhen sich die Pensionsansprüche für jenen Elternteil mit niedrigerem Einkommen, während die Pensionsansprüche für den besserverdienenden Elternteil sinken. Für den Haushalt könnte die Nettopension dann höher sein, wenn die Steuerleistung durch das Splitting sinkt.

Kann Pensionssplitting dazu beitragen, die Altersarmut von Frauen einzudämmen?

Die armutsreduzierende Wirkung für Frauen wird aus folgenden Gründen, wenn überhaupt, dann sehr gering ausfallen: Die frauenpensionserhöhende Wirkung hängt einzig vom Partnereinkommen ab. Ein hohes, stabiles Partnereinkommen erhöht die gesplittete Pension, fehlt Erwerbseinkommen wegen Arbeitslosigkeit, Krankheit etc. gibt es keinerlei Effekt. Pensionssplitting für Geburten ab einem Stichtag bedeutet, Frauenpensionen werden erst in einigen Jahrzehnten einen Effekt daraus haben. Bei Patchwork-Familien kann das Modell kaum Wirkung zeigen. Erhöht das Splitting Frauenpensionen, die auf die Ausgleichszulage aufgestockt werden, verändert sich das verfügbare Pensionseinkommen der Frau nicht, es sinkt nur der Anteil der Ausgleichszulage. Schließlich wird die Ausformulierung der Opt-Out-Klausel darüber entscheiden, ob das Modell den innerfamiliären Diskurs zur Verteilung der Arbeit vorantreibt und ob die Verhandlungsmacht der Frauen gestärkt wird.

Wenn sie drei Wünsche frei hätten, um unsere Gesellschaft sozial gerechter zu machen – welche Wünsche wären dies?

Soziale Gerechtigkeit führt nur über den demokratischen Weg der Beteiligung und Inklusion. Folgende Bereiche sind zentral auf dem Weg zu einer gerechten Gesellschaft und ökologisch verträglichen Wirtschaft: Ausbau des Primats der politischen Gestaltung, um die Wohlfahrt für alle und nicht Vermögensakkumulation für wenige zu fördern. Weiters ist die Anerkennung, Neubewertung und Neuverteilung systemrelevanter Tätigkeiten, allen voran der gesellschaftlich notwendigen Versorgungsarbeit eine Bedingung für eine gerechte Gesellschaft. Gerade in den vergangenen 2 Jahren zeigte sich die Wichtigkeit, aber auch die finanzielle wie gesellschaftliche Geringschätzung dieser grundlegenden Arbeit, die überwiegend von Frauen getan wird. Gendergerechtigkeit ist daher eine Grundvoraussetzung für eine sozial gerechte Gesellschaft.

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