Interview mit Bildungsexpertin Heidi Schrodt "Du bist gut, so wie du bist!"
31.08.2023
Wie Schule zu Gleichberechtigung beitragen kann, was sich im Schulsystem ändern muss und vor welchen Herausforderungen Schüler und Schülerinnen heute stehen, erzählt Bildungsexpertin Heidi Schrodt im Interview mit Fokus Wien.
Bildung wird hierzulande häufig immer noch vererbt – Sie haben Österreich als „Land der Bildungsungerechtigkeit“ bezeichnet. Was müsste hier Ihrer Meinung nach passieren?
Seit 20 Jahren wissen wir aufgrund von Studien, dass wir im internationalen Vergleich in Bezug auf Bildungsgerechtigkeit nicht gut dastehen. Österreich nimmt hier als ein so wohlhabendes Land eine sehr unrühmliche Rolle ein. Es ist aber leider nie zu einem primären Ziel geworden, diese Bildungsungerechtigkeit zu bekämpfen. Zuerst müsste man es als vorrangiges Ziel in eine Regierungserklärung nehmen und Maßnahmen setzen, um der Bildungsungerechtigkeit entgegenzuwirken. Ganz grundsätzlich müsste unsere Schule aber auch anders ausschauen.
Was müsste denn konkret an den Schulen passieren?
Es bräuchte aufsuchende Elternarbeit von Anfang an, vor allem dort, wo man Probleme befürchtet, etwa weil die Eltern nicht die Sprache des Landes sprechen oder weil es schwierige Familienverhältnisse gibt. Man müsste auch Kindergärten ganz anders gestalten und kleinere Gruppen machen. Kinder, die bereits mit Entwicklungsrückständen in die Schule oder den Kindergarten kommen, müssten individuell betreut werden. Darüber hinaus bräuchte es eine gemeinsame Schule bis 14 oder bis zum Ende der Schulpflicht, die auch inhaltlich qualitativ anders ausschauen muss. Jedes einzelne Kind sollte mit seinen Stärken und Schwächen – vor allem aber mit den Stärken – im Vordergrund stehen.
Sie sind Vorsitzende der Initiative „Bildung grenzenlos“, die für eine Schule plädiert, die unter anderem den sozialen Zusammenhalt fördert. Wie sieht eine solche Schule aus?
Der soziale Zusammenhalt muss im Kindergarten und in der Schule von Anfang an erlernt werden. Im Gymnasium Rahlgasse gibt es beispielsweise das Fach „soziales Lernen“ ab der ersten Klasse sowie Peer-Mediation. Auch die soziale Durchmischung ist zentral. Es verstärkt sich immer mehr der Trend, dass Eltern ihre Kinder nicht mehr in Schulen geben, wo der Anteil an Kindern mit migrantischem Hintergrund besonders hoch ist. Wir bei „Bildung grenzenlos“ halten nichts davon, dass man Kinder zum Beispiel von Fünfhaus extra nach Hietzing in eine Volksschule bringt. Hier müsste man Regelungen zur stärkeren Durchmischung schaffen. In manchen anderen Ländern gelingt das sehr gut.
Gerade jetzt hört man wieder häufig, vor allem im Kontext von Gewaltprävention, Bildung und Erziehung zu Gleichberechtigung und Selbstbestimmung müssten schon früh in der Schule gelernt werden. Wie sieht das in der Praxis konkret aus?
Die Femizide sind Ausdruck eines großen gesellschaftlichen Grundproblems. Auch da müssen wir mit Präventionsarbeit bei den ganz Kleinen beginnen und den Kindern beibringen, wie man im Streit miteinander umgeht. Dazu zählen auch Rollenspiele, Konfliktvermittlung unter Gleichaltrigen, Wiedergutmachungsmaßnahmen, gelernte Konfliktbewältigungskultur oder Peer-Mediator*innen, die etwa bei Disziplinarverfahren aufgrund von gewalttätigen Handlungen vermitteln. Es geht auch darum, Kinder und Jugendliche von klein auf in ihrer Persönlichkeit zu stärken und zu sagen „Du bist gut, so wie du bist! Du kannst das, du wirst das noch besser machen“, und dabei trotzdem die notwendigen Grenzen zu ziehen.
Sie setzen sich stark für Mädchen- und Frauenbildung ein: Was sind die größten Chancen und Hürden für Mädchen im Bildungsbereich?
Die größten Hürden sind nach wie vor die Stereotype. Wir sollten Rückzugsgebiete für Mädchen, aber auch für Buben schaffen und Spielzeug enttabuisieren. Wir sollten Buben fördern, mit Puppen zu spielen, und Mädchen mit einem Traktor. Mädchenförderung, z.B. für den Technikbereich, ist nicht möglich, ohne gleichzeitig die Buben zu fördern, etwa im Sozialkompetenzbereich. Wir müssen sie ermutigen, in Sozialberufe zu gehen – die müsste man natürlich auch besser bezahlen. Auch der Unterricht müsste angepasst werden. Es gibt viele Untersuchungen, die zeigen, dass Mädchen so lange fragen, bis sie es verstehen, und Buben sich mit einem Teilverständnis zufriedengeben. Es hat sich herausgestellt, dass Lehrpersonen sich da im Allgemeinen nicht nach den Mädchen richten und so Mädchen dann tatsächlich öfter zurückfallen und sich z.B. mathematisch nichts mehr zutrauen.
Wie können gesetzliche Vorgaben in der Praxis geschlechtergerechten Unterricht fördern? Was bräuchte es heute von der Bundesregierung?
Schritt eins: Lehrerfortbildung und Sensibilisierung. Ohne verpflichtende Lehrersensibilisierung wird es nicht gehen. Man kann keine verpflichtende geschlechtssensible Pädagogik in den Schulen und Kindergärten fordern, wenn die Lehrkräfte sich dann gegenteilig verhalten. Dann müsste es gesetzlich vorgegeben sein, dass die Schule und auch die Kindergärten konkrete Auflagen in der Geschlechterpädagogik zu erfüllen haben. Und die Schulen müssten in einem Rechenschaftsbericht nachweisen, was sie ganz konkret dafür gemacht haben.
Mag.a Heidi Schrodt war langjährige AHS-Lehrerin und Direktorin am Bundesgymnasium und Bundesrealgymnasium Rahlgasse. Sie ist Vorsitzende der Initiative „Bildung grenzenlos“, Autorin und gefragte Bildungsexpertin. Für ihr geschlechterpolitisches Engagement an Schulen ist sie mehrfach ausgezeichnet worden.
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